Das Bedürfnis und die Notwendigkeit, mithilfe der Sprache auf Dinge, Menschen, Handlungen, Ereignisse oder persönliche Erfahrungen Bezug zu nehmen, die nicht unmittelbar in der aktuellen Gesprächssituation präsent sind, kann als die Hauptantriebskraft für die individuelle und evolutionäre Entwicklung der Sprache betrachtet werden. Die Sprache wäre nicht zwangsläufig erforderlich, wenn sie nur dazu dienen würde, die sichtbaren Elemente der Umgebung zu benennen. Anfangs könnten wir, wie es oft bei Einjährigen der Fall ist, auf Dinge zeigen, unser Gegenüber zu den Objekten führen oder die Objekte zu unserem Gegenüber bringen. Aber das würde bedeuten, dass wir ständig den Raum aufsuchen müssten, in dem sich die zeigbaren Dinge, Vorgänge oder Personen befinden. Oder wir müssten alle Gegenstände mit uns tragen, über die wir kommunizieren wollen. Daher erleichtert eine Sprache mit Mitteln für Raum- und Zeitbezug die Kommunikation.
Nonverbale Mittel, um in einen anderen Raum und in eine andere Zeit zu verweisen, sind:
In der frühen Phase der Sprachentwicklung zeigt sich ein bemerkenswertes Phänomen: Rund um denselben Zeitpunkt, an dem das Kind anfängt, differenziertere Ausdrücke für Vergangenheit zu verwenden, beginnt es auch neue sprachliche Mittel einzusetzen, um über entferntere Orte zu sprechen.
Einige wichtige sprachliche Mittel für einen Raum- und Zeitbezug sind:
Lexikalische Mittel
Flexionsmorphologische Mittel
Substantive:
Substantive haben keine zeitliche Markierung.
Adverbien:
Adverbien sind nicht flektierbar.
Partikel:
Partikel sind nicht flektierbar.
Sprachliche Mittel zum Zeit- und Raumbezug sind entscheidende Bestandteile der kommunikativen Fähigkeiten. Die Wichtigkeit dieser Mittel wird besonders klar, wenn sie aus alltäglichen Aussagen entfernt werden. Die übermittelte Information würde stark mehrdeutig oder gänzlich unverständlich werden.
Das Kind beginnt ungefähr in der Mitte des zweiten Lebensjahres, erste sprachliche Verweise auf zeitlich nicht gegenwärtige Ereignisse zu verwenden. Oft sind es sogenannte Aktionswörter, die es im Zusammenhang mit Dingen, die verschwinden, Personen, die weggehen, oder Vorgängen, die aufhören, gehört hat. Für deutschsprachige Kinder sind Begriffe wie „alle alle“ oder „weg“ üblich, während englischsprachige Kinder oft „gone“ verwenden. Etwa gegen Ende des zweiten Lebensjahres tauchen erste Adverbien der Wiederholung wie „nochmal“ oder „wieder“ auf, da das Kind in dieser Zeit Freude am Nachahmen eigener und anderer beeindruckender Handlungen findet. Etwa im dritten Lebensjahr beginnt das Kind, Zeitadverbien wie „gestern“ und „morgen“ zu nutzen. Allerdings dauert es etwa zwei weitere Jahre, bis diese Zeitadverbien semantisch korrekt verwendet werden. Es kommt häufig vor, dass das Kind am Nachmittag ein Ereignis am Vormittag mit „gestern“ in Verbindung bringt.
Mit etwa 6 Jahren kann das Kind folgende Relativität verstehen: „Morgen sagen wir zum heutigen Tag gestern.“ Mit etwa 9 Jahren entwickelt das Kind ein Zeitverständnis, das es ihm erlaubt, zwei Ereignisse, die gleichzeitig in verschiedenen Orten stattfinden, auf einer objektiven „Zeitleiste“ wie der Uhrzeit als gleichzeitig einzustufen
Die Zeitbezugsmittel sind von zentraler Bedeutung, um Ereignisse, Abläufe und Handlungen korrekt in ihrer zeitlichen Lokalisierung und Abfolge darzustellen. Sie werden durch die sprachliche Interaktion mit den engsten Bezugspersonen erworben. In dieser Interaktion lernt das Kind nicht nur, wie diese Mittel verwendet werden, sondern auch, wie man zeitliche Präzision erreicht, welche vergangenen Ereignisse besonders erzählenswert sind und welcher Person man welche Informationen mitteilt. Diese Fähigkeiten sind wesentliche Voraussetzungen für die narrative Kompetenz, die eng mit der Entwicklung der Identität verbunden ist.