Die Beachtung grammatikalischer Regeln ist von zentraler Bedeutung für eine verständliche Sprache im Dialog. Dabei wird auch von grammatikalischer Kompetenz gesprochen, die einen integralen Teil der sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten darstellt.
Das Kleinkind erwirbt im Verlauf eines längeren Entwicklungsprozesses, der etwa im Alter von 18 bis 40 Monaten stattfindet, die grundlegenden Strukturbildungsmittel seiner Sprache. Während dieser Zeit eignet es sich die elementaren grammatikalischen Kenntnisse an, die es befähigen, seine sprachlichen Absichten auf grammatisch korrekte Weise auszudrücken. Im weiteren Verlauf dieses Lernprozesses, der bis ins Schulalter hineinreicht, entwickelt es die Fähigkeit, auch komplexere grammatikalische Konstruktionen sowohl in seiner gesprochenen als auch in seiner schriftlichen Kommunikation anzuwenden.
Im Bereich der grammatikalischen Entwicklung stehen zwei Prozesse in enger Verbindung zueinander: Die Fähigkeit, Wörter nach bestimmten Regeln aneinanderzureihen, und die Fähigkeit, Wörter nach Regeln zu verändern (zu flektieren). Eine vereinfachte Darstellung eines solchen Prozesses der Regelbildung ist auf dieser Seite dargestellt.
In der Anfangsphase des Erwerbs der Regeln für die Tempusmarkierung der Verben und die Numerusmarkierung bei den Substantiven sind folgende Beispiele für typische Flexionsformen zu beobachten:
Verben
Substantive
1;10 „ohm doset“ (oben gestoßen)
2;1 „viele Autos“
1;10 „Baby an-e-zieht“ (Baby angezogen)
2;0 „siele Hause“ (viele Häuser)
2;0 „Hände waschet“ (Hände gewaschen)
2;0 „da, Bats“ (da Blätter)
2;0 „Jacke aus-e-zieht“ (Jacke ausgezogen)
2;1 „viele Buchen“ (viele Bücher)
2;2 „Daudein fundet“ (Baustein gefunden)
2;2 „viele Schwanen“ (viele Schwäne)
2;3 „Daktor rein-e-tut“ (Traktor reingetan)
2;3 „wei Keese“ (zwei Kekse)
Zu Beginn des dritten Lebensjahres zeigt sich eine vereinfachte Darstellung der kindlichen Plural-Regelbildung für häufig vorkommende Wörter wie „Jungs“ und das Wort „Mädchen“.
1. Phase: Analyse des Gehörten
Ausgegangen wird von der Umgangssprache, die ein Kind regelmäßig hört und auf die sie es sich bezieht.
„Ein Junge“ – „Da sind viele Jungs“
„Ein Mädchen“ – „Da sind viele Mädchen“
2. Phase: Eigene Regelbildung auf Basis des Gehörten
Implizites Erfassen und Anwenden der Regel. Das Kind realisiert, dass es ein „s“ anhängen muss, um zu verdeutlichen, dass es viele Jungen sind. Es schließt weiter, dass die gleiche Regel auch für das Wort „Mädchen“ gilt.
„Da, viele Jungs“
„Da, viele Mädchens“
3. Phase: Vervollständigung der erschlossenen Regel
Korrektur der Regel. Das Kind hört nie „Mädchens“ und schließt daraus, dass es nicht richtig sein kann. Gleichzeitig hört es „Die Jungen“ und „Die Jungs“, die beide die gleiche Bedeutung haben. Daraus schließt es, dass beides richtig ist.
„Da, viele Jungs“
„Da sind viele Jungen“
„Da, viele Mädchen“